Dienstag, 2. Februar 2016

Mitfühlen statt Mitleiden

In meiner psychotherapeutischen Praxis ist eine der häufigsten Ursachen von Beziehungsprobelemen, Krankheiten, depressiven Störungen oder seelischer und körperlicher Erschöpfung das übernommene Leid/Schicksal von Eltern, Großeltern oder nahen Verwandten. Dies geschieht häufig bereits in der frühen Kindlheit und bleibt oft völlig unbewusst. Wir tragen dann Gefühle von Traurigkeit, Hilflosigkeit oder Wut in uns. Sie belasten unsere Seele und gleichzeitig ziehen wir dann als Erwachsene ähnliche Situationen an, in denen wir uns genauso fühlen. Die Belastungen nehmen so ständig zu bis wir geschwächt sind und uns im günstigsten Fall therapeutische Hilfe holen.

Aus diesem Grund möchte ich den Unterschied zwischen Mitleiden und Mitfühlen aufzeigen.

Mitleid wird sowohl in der christlichen als auch in der buddhistischen Tradition als eine positive Eigenschaft und Tugend gesehen und gelehrt, da das gefühlte Mitleid den Menschen zur Barmherzigkeit und zur Nächstenliebe befähigt, Egoismus und
Selbstsucht überwinden hilft und letztendlich zur Liebe führen soll. Der seit mehr als 2000 Jahre bestehende
Memplex (ein unsichtbares Feld oder Muster im Kollektiven Unbewussten) der Lehre des Christentums in dem uns der Kreuzestod Christi als Barmherzigkeit und Liebe zu den Menschen als Vorbild dargestellt wurde/wird schlummert auch bei dem noch so aufgeklärten Menschen in unserem Unbewussten. So glauben viele, dass wir auch durch das Mitleiden mit einem Anghörigen durch das Tragen seines Schicksals (seines Kreuzes) Leid abnehmen könnten.

Mitleid ist die gefühlte Anteilnahme am Schmerz und Leid eines seelisch oder körperlich gepeinigten Menschen oder eines Tieres. Dies emfinden wir wie einen eigenen Schmerz. Besonders verstärkt erleben wir ihn, wenn wir uns zusätzlich zu diesen starken Gefühlen auch noch mit der Ungerechtigkeit dieses Schicksals identifizieren.

Als Therapeutin erlebe ich, dass das starke Mitleiden aber nie dazu führt, dass der Leidende sich dadurch besser fühlt. In Familienaufstellungen zeigt sich da sehr häufig, dass die Eltern oder nahe Verwandte es gar nicht wollen, dass jemand ihnen das Leid oder Schicksal abnimmt oder mitträgt. Dieses übernommene Leid führt oft zur Ohmachtsgefühlen, weil man häufig zusehen muss, dass der Leidende an seiner Situation gar nichts ändern möchte. Diese Ohnmachtsgefühle führen wiederum dazu, dass man zu dem Angehörigen dann in Distanz geht.
Die Distanzierung von der Situation oder Menschen kann aber meist nur vorübergehende Besserung bringen. Wenn das übernommene Leid gelöst werden soll, ist es nötig die unbewusste Einstellung zum Mitleid zu verändern.

Zunächst kann eine bewusste Auseindersetzung mit dem Thema Mitleid und Mitgefühl nützlich sein.
Nach meiner Auffassung besitzt jeder gesunde Mensch die angeborene Fähigkeit Leid mitzuempfinden in verschieden starker Ausprägung. Besonders empfindsame Menschen (astrolog. Konstellation: Fisch, starke Neptunbetonung, 12. Hausbetonung) nehmen häufig so stark Anteil am Leid von Menschen und Tieren, dass sie ihre ganze Kraft einsetzen um zu helfen und sich dabei oft selbst verlieren. Andere verdrängen wiederum diese starken Gefühle, suchen Ablenkungen bis eine Krise sie zur inneren Einkehr zwingt, um sich vom Leid zu befreien. 

Der Mitleidende ist mit dem Leid (der nahestehenden Person, des Tieres, der Welt) identifiziert, das heißt, er empfindet es so
als ob es ihn selbst betreffen würde, ja es trifft einen unerlösten Seelenanteil in ihm, sonst könnte er es nicht so stark wahrnehmen. Wer starkes Mitleid empfindet hat aber auch die Chance sich vom eigenen Seelenschmerz zu befreien und seine unterdrückten Gefühle, wie Traurigkeit, Sehnsucht, Ängste, Schuld, Wut, etc. die in der Seele schlummern, zu heilen.  Dies gelingt durch die Therapie mit den "inneren Bildern", Hypnotherapie, der Atemtherapie, Meditation und tiefenpsychol. ausgerichteten Therapien. Gerade durch die bewusstseinserweiternde Atemtherapie lassen sich Seelenzustände erreichen,
die tiefe Erkenntnisse und Einsichten erlebbar und den Sinn des Daseins und der Aufgabe im Leben begreiflich machen.Das Mitleiden führt also zur Selbsterkenntnis und zum "wahrem Ich" und letztendlich auch zur bewussten Abgrenzung.
Das Mitleid kann sich dann in Mitgefühl wandeln, denn der mitfühlende Mensch hat das Mitleiden und den damit verbundenen eigenen Schmerz bereits bewusst durchlebt, kennt ihn, leidet jedoch nicht mehr mit. Er braucht nicht mehr auf Distanz zu gehen, sondern kann einen Leidenden einfühlend (empathisch) begleiten. Erst das Mitgefühl befähigt uns, sich in den Leidenden einzufühlen ohne den Schmerz empfinden zu müssen.

Gerade für Menschen, die in helfenden und heilenden Berufen arbeiten, ist es wichtig diese Unterschiede zu erkennen.
Sie laufen sonst in Gefahr an Burnout oder Depressionen zu erkranken oder durch ihre Überabgrenzung, d.h. ohne die nötige Hingabe und Einfühlung nur noch den Job zu erledigen.


  Brigitte Neusiedl